Es gab nicht viel, was den Sklaven in den USA im 18. und 19. Jahrhundert Hoffnung geben konnte, ihrem Schicksal irgendwann entgehen zu können. Die Verzweiflung, die Ängste und die Herabwürdigungen, die Sklaven täglich über sich ergehen lassen mussten, werden zum Beispiel im Roman „Underground Railroad“ des amerikanischen Schriftstellers Colson Whitehead anschaulich dargestellt, der im Jahr 2017 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde. Der Name des Romans stammt von einem geheimen Netzwerk aus Routen und sicheren Zwischenstopps, das Sklaven aus dem amerikanischen Süden heraus und in die Freiheit führen sollte.

Die Bedingungen, unter denen die Underground Railroad entstand

Bis zur Verabschiedung des 13. Verfassungszusatzes im Jahr 1865 war die Sklaverei in den USA gestattet. Sie war von den europäischen Kolonialherren ab dem 16. Jahrhundert eingeführt worden. Bis zum Jahr 1805 hatten die nördlichen Bundesstaaten zumindest auf dem Papier die Sklaverei beendet, doch im Süden wurde sie weiter ausgebaut. Dort wurden die Sklaven in erster Linie zur Feldarbeit eingesetzt, etwa für Tabak und Baumwolle. Sie besaßen keinerlei Rechte, wurden wie Gegenstände gehandelt und verkauft, regelmäßig körperlich gezüchtigt und oft sogar von ihren Besitzern zu Tode geprügelt, ohne dass diese rechtliche Konsequenzen zu befürchten hatten. Die nördlichen Bundesstaaten galten dagegen als „free states“, in denen die schwarze Bevölkerung zwar immer noch Diskriminierungen ausgesetzt, aber nicht mehr der Sklaverei ausgesetzt war. Viele Sklaven, die ihren Besitzern im Süden entkommen konnten, wollten daher in den Norden des Landes beziehungsweise nach Kanada, denn auch im Norden der USA bestand noch die Gefahr, von Sklavenfängern aufgespürt zu werden.




So funktionierte die Underground Railroad

Der Name der Underground Railroad ist etwas missverständlich, denn es handelte sich dabei nicht um Schienenwege und der Transport erfolgte nur in Ausnahmefällen unterirdisch. Es handelte sich vielmehr um ein Netzwerk aus Menschen, die sich für die Abschaffung der Sklaverei einsetzten und die überall im Land verteilt lebten. Die entflohenen Sklaven wurden von einem Mitglied des Netzwerks aufgenommen, versteckt und zum nächsten transportiert, der dann wieder für ein weiteres Teilstück bis zum nächsten sicheren Haus zuständig war und so weiter. In der Regel kannten die einzelnen Streckenposten nur wenige andere Mitglieder in der näheren Umgebung. Es gab keine zentrale Stelle oder allgemeine Koordinierung der Rettung der Sklaven und es gab keine offiziellen Informationen, sondern nur solche, die von Mensch zu Mensch weitergetragen wurden. Die Transporte von einem Versteck zum nächsten waren für alle Beteiligten mit großen Risiken verbunden. Die Sklaven wurden oft steckbrieflich und mit dem Versprechen von Belohnungen gesucht, so dass sich viele mit dem Einfangen der Geflohenen etwas dazuverdienen wollten und keinerlei Skrupel hatten. Sklaven, die erwischt wurden, mussten oft damit rechnen, von ihren Besitzern gefoltert und getötet zu werden, um vor den anderen ein Exempel zu statuieren und auch den Helfern drohten schwere Strafen. Auch wer entflohen war und sich bereits im Norden in Sicherheit wähnten, konnte von Sklavenfängern eingefangen und zu den „Besitzern“ zurückgebracht werden; der sogenannte Fugitive Slave Act gab den Fängern auch in den Nordstaaten das Recht dazu. Besonders der Weg von einem Zwischenstopp zum nächsten war daher riskant. Er wurde oft zu Fuß, manchmal auch auf Fuhrwerken oder tatsächlich in Güterzügen absolviert und das meistens nachts. Selten wurde dabei der direkte Weg nach Norden eingeschlagen, vielmehr war die Wegstrecke oft indirekt und so angelegt, dass Verfolger sie nicht nachvollziehen konnten.

Die Railway-Terminologie

Alle Elemente der Underground Railroad wurden mit Begriffen aus der Welt der Eisenbahn bezeichnet. Die sicheren Häuser, in denen die Entflohenen bis zur Weiterreise unterkamen, waren „stations“ (Bahnhöfe); die Helfer, die die Sklaven von einem Ort zum nächsten brachten, waren die „conductors“ (Lokführer) und die Fliehenden selbst waren „Passagiere“ oder „Cargo“. Es ist nicht ganz klar, woher die Verwendung solcher Begriffe stammte. Jedoch spielte die Eisenbahn eine bedeutende Rolle in der Entwicklung und Erschließung des Landes und war zu jener Zeit ein wichtiges Thema und das Netzwerk der Fluchtwege erinnert an das der Eisenbahn. Zudem bestand für die Fluchthelfer die Notwendigkeit, sich codiert miteinander zu verständigen und da lag es nahe, eine Terminologie zu verwenden, die trotzdem von allen Beteiligten verstanden werden konnte und nicht viel Aufsehen erregen würde, wenn sie an die falschen Ohren kam.

Das Netzwerk der Underground Railroad

Die Underground Railroad war kein fest etabliertes Netz an Routen mit festen Verbindungen. Vielmehr existierten oft Routen parallel voneinander, deren Beteiligte nichts von der jeweils anderen wussten. Das diente auch der Sicherheit, denn immer wieder wurden einzelne Fluchthelfer enttarnt und dadurch sollte nicht das ganze Netz auffliegen. An anderen Stellen mussten Teilstrecken stillgelegt werden, weil die Gefahr der Entdeckung bestand oder weil einer der „Lokführer“ verstarb oder umzog. Zu den Aktivisten, die die Underground Railroad betrieben, gehörten ehemalige Sklaven und Abolitionisten, amerikanische Ureinwohner und Mitglieder der Kirche. Nicht alle, die ein Teil des Netzwerks waren, sind heute namentlich bekannt, einige aber haben ihren rechtmäßigen Platz in der amerikanischen Geschichte eingenommen. Zu ihnen gehörte William Still, dessen Kurzbiografien der Geretteten die Grundlagen für das heutige Wissen über die Underground Railroad bildete. Levi Coffin, ein Farmer aus Indiana, soll mehr als 2000 Flüchtenden geholfen haben; sein Haus ist heute ein Museum zum Thema. Harriet Tubman, selbst eine ehemalige Sklavin, rettete persönlich rund 70 Menschen aus der Sklaverei.

Das wichtigste Ziel der Underground Railroad war Kanada, wobei die letzten Meilen meist per Boot über die Great Lakes zurückgelegt wurden. Man geht davon aus, dass zwischen 10.000 und 30.000 Menschen nach Kanada geflohen sind. Einige Geflüchtete blieben auch in den nördlichen Bundesstaaten der USA, dort allerdings war die Gefahr höher, auch lange später noch entdeckt und zurück in den Süden verschleppt zu werden. Das Netzwerk reichte aber nicht nur in Richtung Norden. Auch in den Westen des Landes und über Texas nach Mexiko flüchteten tausende Menschen. Auch die mexikanische Regierung sicherte jedem, der die Grenze überquerte, das Recht auf Freiheit zu, allerdings trieben auch dort Sklavenfänger ihr Unwesen und entführten viele der Geflüchteten wieder.