Der Supreme Court ist das oberste Organ der Rechtsprechung in den USA. Es hat darüber hinaus aber auch eine deutlich politische Komponente. Im amerikanischen System der Gewaltenteilung kommt dem Supreme Court die Aufgabe zu, den Präsidenten und den Kongress, also Exekutive und Legislative zu kontrollieren. Zu diesem Zweck wählt das Gericht Fälle aus, die aktuell gültige Rechtsvorschriften anfechten oder zu interpretieren suchen.

Zahlreiche Urteile des Supreme Courts, etwa zum Thema gleichgeschlechtlicher Partnerschaften oder zur Abtreibung, haben in den USA kleine Revolutionen ausgelöst und teilweise jahrzehntelang gültige Gesetze und Regeln auf den Kopf gestellt.

Ein Überblick über die wichtigsten Entscheidungen in der Geschichte des Supreme Courts, mit denen jeweils bedeutsame neue Auslegungen des Rechts einhergingen:




1857, Dredd Scott v. Sandford: Sklaven sind keine Staatsbürger
In einem Urteil, das heute als schlechteste Entscheidung in der Geschichte des Supreme Courts angesehen wird, entschied das Gericht, dass Menschen afrikanischer Herkunft, auch wenn sie keine Sklaven mehr sind, keinen Anspruch auf die amerikanische Staatsbürgerschaft und auf die Rechte nach der Verfassung haben. Der Kläger Dredd Scott war ein Sklave aus Missouri, der von seinen Besitzern nach Wisconsin gebracht worden war, wo die Sklaverei verboten war und der auf seine Freiheit geklagt hatte.


1896, Plessy v. Ferguson: Rassentrennung ist verfassungsgemäß
Das Gericht entscheidet gegen die Klage von Homer Plessy, der argumentiert hatte, ein Gesetz in Louisiana, das getrennte Bahnwaggons für Schwarze und Weiße vorsah, sei eine Verletzung seiner Rechte nach dem 14. Zusatzartikel der Verfassung. Das Gericht verneinte das und entschied, eine Trennung der Rassen sei verfassungsgemäß, solange beiden Rassen gleichwertige Einrichtungen zur Verfügung gestellt werden. Das Urteil bildete die Grundlage für die „separate but equal“-Regel, die in den Folgejahren das Alltagsleben in den USA bestimmen sollte.


1898, United States v. Wong Kim Ark: In den USA geborene Kinder sind US-Staatsbürger
Nach einer Auslandsreise wurde dem als Sohn chinesischer Eltern in San Francisco geborenen Wong Kim Ark die Wiedereinreise ins Land untersagt. Er klagte gegen die Entscheidung mit dem Argument, dass er als im Land Geborener den Status eines Staatsbürgers habe. Der Supreme Court bestätigt, dass der 14. Zusatzartikel zur Verfassung jedem in den USA geborenen Menschen automatisch die US-Staatsbürgerschaft zuschreibt.


1905, Jacobson v. Massachusetts: Impfpflicht ist zulässig
Der Supreme Court weist die Klage eines aus Schweden stammenden Pfarrers zurück, der sich nach gesundheitlichen Problemen in Folge einer Impfung in seiner Kindheit gegen die Verpflichtung des Bundesstaats Massachusetts zur Impfung gegen die grassierenden Pocken gewehrt hatte. Das Gericht bestätigt die Rechtmäßigkeit solcher Impfpflichten und betont, dass dies ein Beispiel sei, in dem die individuelle Freiheit des Einzelnen begrenzt werden kann.


1927, Buck v. Bell: Zwangssterilisierungen von geistig Behinderten zulässig
In einer Entscheidung, die heute als eine der schlechtesten aller Zeiten angesehen wird, bestätigt der Supreme Court die Praxis des Bundesstaats Virginia, geistig Behinderte „zum Schutz der Öffentlichkeit“ zu sterilisieren. Die Entscheidung wird erst in Skinner v. Oklahoma (1942) teilweise und mit der Verabschiedung des Americans with Disabilities Act von 1990 vollständig aufgehoben.


1954, Brown v. Board of Education: Rassentrennung in Schulen nicht verfassungsgemäß
Mit einer einstimmigen, 9:0-Entscheidung gab der Supreme Court dem Kläger Oliver Brown Recht, der sich dagegen wehrte, dass seine Tochter nicht die nächstgelegene Schule besuchen, sondern mit dem Bus zu einer weit entfernten Schule für schwarze Kinder fahren musste. Im öffentlichen Bildungssystem sei kein Platz für die „separate but equal“-Doktrin. Die Umsetzung des Urteils im Süden der USA war jedoch keineswegs garantiert. In Arkansas etwa musste das Militär schwarzen Schülern den Weg zu einer Schule freihalten.


1973, Roe v. Wade: Die Verfassung enthält das Recht auf Abtreibung
Der Supreme Court erklärt in einer 7:2-Entscheidung, dass das „Recht auf Privatheit“ im 14. Zusatzartikel der Verfassung auch das grundsätzliche Recht auf eine Abtreibung mit einschließt. Gesetze in den einzelnen Bundesstaaten, die Abtreibungen untersagen, sind damit verfassungswidrig. Im ersten Trimester der Schwangerschaft sind Abtreibungen grundsätzlich möglich, ab dem zweiten Trimester wird dieses Recht durch weitere Gesetze eingeschränkt. Die strikte Trimester-Aufteilung wurde im Urteil Planned Parenthood v. Casey (1992) aufgehoben und auch zu Beginn der Schwangerschaft sind Einschränkungen möglich.
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2003, Lawrence v. Texas: Verbot von Sodomie nicht rechtmäßig
Es dauerte bis zum Jahr 2003, bis der Supreme Court sich gegen die Strafbarkeit von homosexuellen Handlungen wandte. In Texas und in dreizehn anderen Bundesstaaten gab es zuvor noch „Anti-Sodomie-Gesetze“, die insgesamt gesehen sexuelle Handlungen zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern unter Strafe stellten. Mit dem Urteil wurden sämtliche Gesetze dieser Art für nichtig und nicht verfassungsgemäß erklärt.


2015, Obergefell v. Hodges: Gleichgeschlechtliche Ehen werden im ganzen Land legal
Der Kläger, James Obergefell, hatte Klage eingereicht, weil die von ihm und seinem Partner in Maryland geschlossene Ehe in seinem Heimatbundesstaat Ohio nicht anerkannt wurde. Zuvor hatten bereits etliche Bundesstaaten die gleichgeschlechtliche Ehe legalisiert und auch der Supreme Court hatte diese einzelstaatlichen Gesetze gebilligt. Mit der knappen 5:4-Entscheidung stellte das Gericht gleichgeschlechtliche Ehen überall in den USA den Ehen zwischen Mann und Frau gleich.


2022, Dobbs vs. Jackson Women’s Health Organization: Verfassung beinhaltet kein Recht auf Abtreibung
Mit dem Urteil hebt der Supreme Court das fast 50 Jahre geltende, universale Recht auf Abtreibung nach Roe v. Wade auf und erkennt, dass das Recht auf Abtreibung nicht aus der Verfassung abgeleitet werden kann. Dieser Umstand räumt den Bundesstaaten das Recht ein, die Abtreibung selbst zu regulieren; in einigen Bundesstaaten wird sie daraufhin grundsätzlich verboten.
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