Es ist vielleicht geradezu typisch für diese verrückten Zeiten, dass eine Selbstverständlichkeit wie die Briefwahl zu einem so großen Thema rund um die US-Wahl 2020 geworden ist. Bei diesem Thema kommen mehrere wohl einzigartige Phänomene zusammen und da es auch bei diesen Punkten, wie bei eigentlich allen, zwei komplett entgegengesetzte Meinungspole gibt, ist auch eine vermeintliche Nebensächlichkeit wie die Briefwahl zum erbitterten Streitthema geworden.

Im Prinzip ist die Briefwahl so geregelt wie in vielen anderen Ländern auch. Wer sich für die Briefwahl entscheidet, beantragt einen Stimmzettel bei der Wahlbehörde, bekommt diesen zugesandt und muss ihn dann entweder mit der Post zurücksenden, in eine dafür vorgesehene Stimmzettelbox werfen oder im Wahllokal abgeben. Manche Bundesstaaten erwarten, dass ein Wähler seine Briefwahl („absentee voting“) mit einem triftigen Grund begründet, andere bieten die Briefwahl als generelle Option an, um es den Wählern bequemer zu machen.



Bei den US-Präsidentschaftswahlen 2016 haben etwa 33 Millionen Wähler per Briefwahl abgestimmt, das entspricht rund einem Viertel aller abgegebenen Stimmen. Bei den US-Wahlen 2020 wird mit einer deutlich höheren Zahl von Briefwählern gerechnet, weil viele Wähler angesichts der Corona-Pandemie Sorge davor haben, sich in einem Wahllokal anzustecken. Diese Sorge ist vor allem unter Anhängern der Demokratischen Partei verbreitet und dieser Umstand führte wohl dazu, dass Trump schon früh damit begann, öffentlich Zweifel über die Rechtmäßigkeit und Zuverlässigkeit der Briefwahl zu säen – obwohl er selbst per Briefwahl abstimmt. Im Laufe der Zeit steigerte Trump sich immer weiter in dieses Thema hinein und begann schließlich damit, Briefwahl generell auf eine Stufe mit Wahlbetrug zu zu stellen.

Für solche Vorwürfe gibt es allerdings wenige Anhaltspunkte. Untersuchungen haben ergeben, dass es bei vergangenen Wahlen durchaus Versuche gegeben hat, zu betrügen. Doch erstens handelte es sich dabei um eine sehr geringe Anzahl bei vielen Millionen abgegebenen Stimmen und zweitens zeigt die Tatsache, dass diese aufgedeckt worden sind, dass Betrug eben doch nicht so einfach ist. So entpuppten sich auch die von den Trump-Anhängern immer wieder zitierten Beispiele für Unregelmäßigkeiten oft als Falschmeldungen. Bei den vermeintlich auf einer Müllhalde in Kalifornien gefundenen Bündeln von Wahlscheinen zum Beispiel handelte es sich in Wirklichkeit nur um entsorgte Briefwahlumschläge von den Kongresswahlen 2018. Viel bedeutsamer als tatsächlicher Betrug ist die Tatsache, dass tausende von Briefwahlstimmen nicht gezählt werden. Das geschieht vor allem dann, wenn die Stimmzettel nicht so abgegeben werden wie es vorgesehen ist oder wenn sie zu spät eintreffen. Briefwähler müssen den Stimmzettel in einen Umschlag stecken und diesen dann in einen weiteren Umschlag, der mit einer Unterschrift zu versehen ist. Kommt der Stimmzettel nur mit einem der beiden Umschläge an oder stimmt die Unterschrift nicht, so wird diese Stimme disqualifiziert. Vor allem in den Swing States, wo schon wenige hundert Stimmen den Unterschied darüber ausmachen können, ob der eine oder andere Kandidat die gesamten Wahlmännerstimmen erhält, kann das entscheidend sein.

Unterdessen haben die Republikaner eine ganze Reihe von Versuchen unternommen, um die Briefwahl zu stoppen oder zumindest so weit wie möglich zu blockieren. Als einige demokratisch regierte Bundesstaaten beschlossen hatten, die Wahl wegen der Corona-Pandemie komplett auf Briefwahl umzustellen und allen registrierten Wählern unaufgefordert Wahlunterlagen zuzusenden, strengten sie mehrere Gerichtsverfahren an. Tatsächlich kam es dabei auch zu einigen Unstimmigkeiten, denn es wurden an vielen Orten Wahlunterlagen an Menschen geschickt, die bereits verzogen oder verstorben waren, teilweise schon vor vielen Jahren. Solche Dinge sind die Folge der Tatsache, dass es in den USA keine amtliche Meldepflicht gibt, Wähler sich bei einem Umzug nicht aus den Wahlregistern abmelden und sich die Behörden untereinander nicht abstimmen. Der reine Versand von Wahlunterlagen an nicht mehr anwesende Wähler aber ist noch kein Betrug, denn die Stimmzettel werden eben nur dann gezählt, wenn die Unterschrift auf dem Umschlag mit der in den Akten übereinstimmt.

Allerdings beschränken sich die Republikaner in ihrem Kampf gegen die vermeintlich manipulierte Briefwahl nicht nur auf den juristischen Weg. In Texas zum Beispiel erließ der republikanische Gouverneur die Anordnung, dass in jedem County (Landkreis) jeweils nur eine offizielle Einwurfbox für die Stimmzettel aus der Briefwahl stehen dürfe – in einem Ballungsraum wie Houston mit mehr als 4 Millionen Einwohnern bedeutet das für viele Wähler eine unzumutbare Entfernung. In Kalifornien stellten Republikaner eigene Sammelboxen für Briefwahlzettel auf, die jedoch nicht offiziell waren und es musste ihnen erst per richterlicher Verfügung verboten werden, auf diese Weise unberechtigt Stimmzettel einzusammeln.

Die heftigste Attacke gegen die Briefwahl und damit gegen das geltende Wahlrecht aber führte Louis DeJoy aus, der Postmaster General, also der Chef der amerikanischen Postbehörde. DeJoy war früher einer der fleißigsten Spendensammler für die Republikaner und war im Juni 2020 von Trump in seine neue Position berufen worden. Er machte sich sofort an die Arbeit. Er ließ unzählige Briefkästen abbauen und er verbot den Postboten, Überstunden zu machen. Das führte schnell zu deutlich verlängerten Laufzeiten der ohnehin schon nicht sonderlich zuverlässigen Post und unter anderem dazu, dass chronisch Kranke ihre Medikamente nicht rechtzeitig bekamen. Währenddessen gab Trump in einem Interview im August zu, dass er es gut finde, wenn zwei vom Kongress geplante Finanzspritzen für die Post nicht durchkommen würden, denn „dann können die Demokraten ihre Briefwahl nicht haben“, so Trump. DeJoy hat inzwischen hunderte Sortiermaschinen im ganzen Land, vor allem aber in Swing States abbauen lassen, was angesichts der vielen Millionen Briefwahlstimmen in diesem Jahr dazu führen könnte, dass Stimmzettel zu spät bei den Wahlbehörden eintreffen und damit ungültig werden.